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   Goldene Buddhas und farbenprächtige Thangkas Tibetische Kunst fasziniert wie nie zuvor — Teil 1

Goldene Buddhastatuen und farbenprächtige Rollbilder (tib. thangka) liegen derzeit im Trend. Museen veranstalten Sonderausstellungen zum Thema buddhistische Kunst und dicke Kunstbände finden immer mehr interessierte Abnehmer. Auch unsere buddhistischen Zentren organisieren gemeinsam mit der Diamantwegstiftung hin und wieder Ausstellungen, die sehr gerne besucht werden und so einem breiten Publikum den Kontakt mit buddhistischer Kunst und in weiterer Folge auch mit buddhistischen Inhalten ermöglichen. Über Ausstellungen und Kunstbücher mit buddhistischen Kunstwerken in Kontakt zu kommen, ist eine eher allgemeine Möglichkeit, bei der es mehr um die äußere Form der Objekte und deren Beschreibung geht. Eine direktere Herangehensweise ist die Verwendung der buddhistischen Statuen und Rollbilder als Objekte der Meditation im Rahmen der Praxis des Diamantweges. Hier kann man unmittelbar erfahren, dass Kunstobjekte im tibetischen Buddhismus Träger einen tiefen Symbolik sind, die über den künstlerischen Aspekt weit hinausgehen. Man versteht, dass sie nicht äußere, vom Meditierenden getrennte Aspekte sind, sondern Ausdruck der Natur des eigenen Geistes. Durch die Identifikation mit perfekten Buddha-Formen wird nach und nach die Strahlkraft der eigenen Buddhanatur erkannt. „Man benimmt sich wie ein Buddha, bis man ein Buddha geworden ist“, wie es Lama Ole Nydahl ausdrückt. Dies ist die Essenz im Diamantweg des Tibetischen Buddhismus.

Die Bedeutung tibetischer Skulpturen, Rollbilder und Stupas Statuen und Rollbilder werden im Diamantweg-Buddhismus (skt. vajrayana) für die Meditation verwendet. Die meisten Darstellungen drehen sich um den historischen Buddha und später erleuchtete Meditationsmeister, oder sie zeigen so genannte Buddha- Aspekte. Das sind vom Buddha in den Tantras gelehrte Meditationsformen, die jeweils eine bestimmte Qualität der Erleuchtungsnatur unseres Geistes ausdrücken. Da die Bildwerke zur Meditation verwendet werden, sind sie von buddhistischen Meistern gesegnet, Statuen und Stupas werden zusätzlich mit kostbaren Inhalten gefüllt. In Tibet und auch bereits im alten Indien nannte man die Kunst „Stützen (oder Grundlagen) des Körpers, der Rede und des Geistes“ (tib. sku gsung thugs gyi rten). Diese drei Arten von Stützen sollen dem Geist während der Meditation helfen, sich einen Buddha- Aspekt zu vergegenwärtigen. Diese Bezeichnung gilt nicht nur für Tibet, sondern auch für die Kunst aller anderen Regionen, in denen sich der Vajrayana-Buddhismus ausgebreitet hat (Himalajagebiet, Teile Indiens, Afghanistan, Pakistan, Mongolei, China, zeitweise in Myanmar, Laos, Kambodscha und Indonesien). Die „Grundlagen des Körpers des Buddha“ (tib. sku rten) sind alle figürlichen Darstellungen von Buddhas, Buddha-Aspekten und Lamas in Malerei und Plastik. Die „Grundlagen der Rede des Buddha“ (tib. gsung rten) umfassen sämtliche buddhistischen Lehren in schriftlicher Form, als auch Mantra-Inschriften auf Steinen und dergleichen.

Die „Grundlagen des Geistes des Buddha“ (tib. thugs rten) sind bestimmte Symbole, die direkt den Geist des Buddha ausdrücken. Die wichtigste Form ist hier der Stupa. Ein weiteres Symbol für den Geist Buddhas ist der Spiegel, der beispielsweise bei Einweihungen verwendet wird. Der Spiegel reflektiert, was auch geschieht, ohne die auftauchenden Bilder zu bewerten. In derselben Weise ist das reine Bewusstsein unberührt von den auftauchenden und sich ständig verändernden Gedanken. Wie die Reflektionen in einem Spiegel sind sie von der Essenz her Raum. (Beer, 1999, S.194)

Jede tibetische Statue bzw. jedes Rollbild drückt jedoch auch in sich alle drei Aspekte von Buddhas Körper, Rede und Geist aus. Die äußere Form steht für den Körper, die Mantrarollen im Inneren der Statuen bzw. die Keimsilben auf der Rückseite der Rollbilder stehen für die Rede und der Segen, den sie tragen, für den Geist. Dudjom Rinpoche (siehe Quellenverzeichnis) erklärt die buddhistische Kunst aus einem anderen Blickwinkel: Betrachtet man den Arbeitsprozess an sich, also das Herstellen der Objekte, versteht man auf höchster Ebene unter der „Kunst des Körpers“, das Herstellen von Gefäß und Inhalt, die Buddhas Körper, Rede und Geist repräsentieren (zum Beispiel Abbildungen, Texte und Stupas). Die „Kunst der Rede“ sind an den Buddha gerichtete Gesänge und Rezitationen. Die höchste Ebene der „Kunst des Geistes“ sind die Aspekte der unterscheidenden Weisheit, die durch Studieren, Reflexion und Meditation erfahren werden. (Dudjom Rinpoche nennt als Quellen u.a. Sutra Requested by Sariputra (Sariputrastaka, P5812), Kalachakra Tantra (T362), Emergence of Cakrasamvara (Sr-mahasamvarodayatantraraja, T 373), Notebook on Iconometry (Pratibimbamanalaksananama, T 4316) by Atreya.)


Ikonographie und Ikonometrie

Die Kunst, religiöse Bildwerke zu schaffen, gehört nach tibetisch- buddhistischer Tradition zu den fünf großen Wissensgebieten oder Wissenschaften (tib rig gnas lnga), die da sind: Grammatik, Logik, Kunst, Heilkunde und Philosophie. Nicht die eigene Kreativität bzw. Eingebung des Malers oder Statuenmachers bestimmen in erster Linie die Komposition und die Form der dargestellten Aspekte, sondern das Wissen um die exakten Maße und Proportionen (tib. thig tshad). Nur wenn die ikonographische Formensprache und die ikonometrischen Größenverhältnisse stimmen, kann ein Bildwerk für die Meditation verwendet werden. Proportionen, Farben, Attribute und Haltung der einzelnen Figuren müssen nach festgelegten Regeln ausgeführt werden, nur so ist der Buddha-Aspekt richtig dargestellt und seine perfekte äußere Form spiegelt seinen vollkommenen Inhalt wieder.

Die Ikonometrie, „die Festlegung der Merkmale und Proportionen der Figur“ (tib. chag tshad; skr.pratimamanalaksana), ist somit die Lehre von der Maßeinheit von Statue und Rollbild. Mit ihrer Hilfe werden die Darstellungen von Buddha-Aspekten nach Maß und Zahl standardisiert und entsprechend ihrer ikonographischen Bedeutung in verschiedene Proportionskategorien unterteilt. Festgelegte Abmessungen sind seit Jahrhunderten Grundlage und Standard für das Herstellen von Malerei und Skulptur im tibetischen Kulturkreis. Die Anweisung sich an Maßsysteme zu halten geht direkt auf Buddha zurück.* Wie uns der ursprünglich in Indien entstandene, in den tibetischen Tangyur aufgenommene und aus dem Tibetischen ins Chinesische übersetzte Kanon der buddhistischen Ikonometrie mit dem Titel „Die charakteristischen Merkmale des Abbildes (des Buddha)“ (skr. pratima laksanam) überliefert, soll der Buddha selbst seinen Schüler Shariputra, den Verfasser dieses Textes, darauf hingewiesen haben, dass „wenn einige Schüler (wörtl. Gläubige) Bildwerke herstellen lassen wollen, diese genau nach dem Standard des Maßsystems gemacht werden müssen.“

(aus „Tibet. Klöster öffnen ihre Schatzkammern, Kulturstiftung Ruhr Essen, Villa Hügel, 2006, S.105.)

Die Tibeter haben diese Regeln vom alten Indien übernommen und selber ikonometrische Lehrtexte und Kommentare verfasst, die bis heute Verwendung finden. Eines der bekanntesten Werke jüngster Zeit ist zum Beispiel „The Principles of Tibetan Art“ von Gega Lama, 1983. Bevor der Künstler die Figur auf einer Bildfläche skizziert, teilt er sie in ein genau proportioniertes ikonometrisches Gitter (tib. thig khang) aus senkrechten, waagerechten und diagonalen Linien. Erst dann werden in der Regel die einzelnen Figuren skizziert. Besonders hilfreich sind diese Liniengitter für großformatige Bildwerke. Geübte Maler können mitunter auf das für die Komposition nützliche ikonometrische Hilfsnetz verzichten und die Figuren freihändig nach Augenmaß ausführen.

Die hauptsächlichen Maßnormen sind die Große und die Kleine Einheit. Wie in der indischen Kunsttradition gehen die Grundeinheiten der Abmessungen in der tibetischen Ikonometrie vom menschlichen Körper aus: Gesichtslänge (tib. zhal tshad), Handspanne (tib. mtho) und Fingerbreite (sor mo). Die gesamte Figur misst im Idealmaß 108 Fingerbreiten oder neun Handspannen, was als Ausdruck der Harmonie zwischen Mikro- und Makrokosmos zu verstehen ist.

Die Ikonographie bezeichnet die Beschreibung der Buddhaaspekte und ihre Bedeutung. Die Wurzeln der tibetischen Kunst gehen auf Vorlagen aus Indien zurück, die sich auf Beschreibungen des Aussehens der Buddha-Aspekte in buddhistischen Mediationsanweisungen (skt. sadhanas) stützen. Die beiden bekanntesten Sadhana- Sammlungen wurden von dem Inder Abhayakaragupta im 11. Jahrhundert zusammengestellt. (The Indian Buddhist Iconography. Mainly based on the Sadhanamala by Benoytosh Bhattacharyya, Calcutta 1968). Mittlerweile gibt es unzählige Bücher, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Für ein vertiefendes Studium sind unter anderem Robert Beer’s „The Encyclopedia of Tibetan Symbols and Motifs“, Boston 1999, oder „Deities of Tibetan Buddhism“ von Martin Wilson und M. Brauen sehr zu empfehlen. Wilson hatte etwa vierzehn Jahre an der Übersetzung und Kommentierung der diesem Werk zu Grunde liegenden tibetischen Originaltexte gearbeitet. Es enthält kurze Beschreibungen von etwas mehr als 500 tibetischen Buddhaaspekten.


Herstellung und Herstellungstechniken

Um buddhistische Kunst herstellen zu können, müssen mehrere Bedingungen zusammenkommen. Der Künstler muss seine diesbezüglichen Fähigkeiten entwickelt haben, eine grundlegende handwerkliche Ausbildung bildet die Basis. Darüber hinaus ist jedoch das Wissen über die Maße und Proportionen (Ikonometrie) besonders wichtig (siehe Interview mit dem Künstler Dawa Lhadipa, Buddhismus Heute Bd 41). Weiterhin sind Erklärungen zur Beschreibung und Bedeutung der Buddhaaspekte (Ikonographie) notwendig. Diese grundlegenden Belehrungen muss der Künstler kennen und studiert haben. Die Meditation ist ebenfalls ein wesentlicher Punkt bei der Herstellung von Kunstwerken. So wird erzählt, dass wirkliche Meister auch durch Visionen oder Träume erfahren, wie sie bestimmte Themen darstellen sollen.


Statuen

Tibetische Bildhauer gossen ihre Statuen aus verschiedenen Metalllegierungen. Sie wurden meistens in einem äußerst aufwändigen Verfahren in verlorener Form gegossen, oft feuervergoldet und von Hand fein bemalt. Das Wachsausschmelzverfahren ist eine Gusstechnik zur Herstellung kleiner Bronzeplastiken mit Hilfe der so genannten „Verlorenen Form“. Das zu gießende Objekt wird zunächst aus Wachs geformt und mit Ton bedeckt, das heißt mit dem so genannten Formmantel. Danach wird der Ton durch Brennen gehärtet, wobei das Wachs durch die dafür angelegten Kanäle ausfließt und so den Hohlraum für das flüssige Metall freigibt. Die Form bringt man schließlich in ein Sandbett und gießt von oben das auf 800 – 900° C erhitzte Metall ein. Das in die Form gelangte flüssige Metall nimmt den durch das ausgeflossene Wachs freigewordenen Raum, das heißt exakt die Gestalt der ehemaligen Wachsplastik an. Um an das Gussstück zu gelangen, muss man die Formwand zerschlagen. Die Form ist somit verloren, das heißt nicht mehr verwendbar, daher auch der Ausdruck „Verlorene Form“. Der künstlerische Gesamteindruck der Statue hängt vor allem von der abschließenden Feinbearbeitung, dem Polieren, Gravieren, Bemalen und Einsetzen von kostbaren Metallen oder Steinen ab.


Thangkas

Aufgrund der Herstellungstechniken sind verschiedene Typen von Thangkas bekannt: Die gemalten Thangkas (tib. bris thang) sind unterteilt in die Goldgrundthangkas (tib. gser thang) mit goldenem Hintergrund und meist zinnoberroten Umrisszeichnungen, sowie auch die Rotgrundthangkas, wo auf zinnoberrotem Hintergrund goldumrissene Figuren abgebildet werden. Hier sind hauptsächlich friedvolle Aspekte dargestellt. Die Schwarzgrundthangkas (tib. nag thang) sind ausschließlich für die kraftvoll schützenden Aspekte bestimmt und weisen einen schwarzen Hintergrund auf, der pechschwarz, aber auch bläulich schimmern kann. Die Umrisse der Schützer werden meist mit goldener Farbe gezeichnet. Die ebenfalls sehr beliebten Seidenthangkas (tib. gos thang) unterteilen sich in die gestickten Thangkas (tib. tshen drub ma), die gestickten applizierten Thangkas (tib. l’han drub ma/dras drub ma) und die geklebten applizierten Thangkas (tib. l’han thabs ma). Die gedruckten Thangkas (tib. dpar ma) werden mit einem Holzschnitt direkt auf einen Seidenstoff gedruckt. Die Umrisslinien sind entweder zinnoberrot oder tintenschwarz. Traditionellerweise sind Thangkas in eine Stoffeinfassung eingenäht. Im Unterschied zu unserer westlichen Gewohnheit, Bilder einfach mit beliebigen Rahmen zu versehen, ist die Stoffeinfassung – meistens aus wertvollem Brokat – bei tibetischen Thangkas von symbolischer Bedeutung. Die Einfassung mit ihren klar abgegrenzten Stoffpartien spiegelt die Grundstruktur der tibetischen Kosmologie wieder, die Grenzen zwischen Bild und Rahmen fließen ineinander. Bild und Rahmung ergänzen sich somit zu einer symbolischen, aber auch künstlerischen Einheit. Neben dem zentraltibetischen Standardtypus haben sich auch historisch bzw. geographisch bedingte Sonderformen entwickelt. (Lavizzari-Raeber, 1984, S. 240f.)


Stilgeschichte

Der Tibetologe Guiseppe Tucci schreibt: “Tibetan painting reproduces the Tibetan soul like a mirror in which we can discern what this people have learnt from India, China or Central Asia and what they have created on their own initiative.” Tibet war über viele Jahrhunderte ein sehr abgegrenztes und schwierig zu bereisendes Land, so erklärt sich, dass erst in letzter Zeit Tibet als Forschungsschwerpunkt greifbarer wurde. Die chronologische Entwicklung der Stile lässt sich mittlerweile jedoch ziemlich anschaulich beschreiben. In der nächsten Ausgabe von Buddhismus Heute könnt ihr dann mehr darüber lesen.


Quellen

- Rober Beer, The Encyclopedia of Tibetan Symbols and Motifs, Boston 1999.

- Benoytosh Bhattacharyya, The Indian Buddhist Iconography. Mainly based on the Sadhanamala, Calcutta 1968.

- Dudjom Rinpoche, Jikdrel Yeshe Dorje, The Nyingma School of Tibetan Buddhism. Its Fundamentals and History, Boston 1991.

- G.-W., Essen, T. T. Thingo, Die Götter des Himalaya. Buddhistische Kunst Tibets. Die Sammlung Gerd-Wolfgang Essen, BD1,2, München 1989.

- Gega Lama, Principles of Tibetan Art. Illustrations and explanations of Buddhist iconography and iconometry according to the Karma Gardri School, Antwerpen, 1982.

- David Jackson, A History of Tibetan Painting: The great Painters and their Traditions, Wien, 1996.

- Kong sprul blo grso mtha´ yas shes bya kun khyab, Kongtrul´s Encyclopaedia of Indo-Tibetan Culture Parts 1-3, Prof. Lokesh Chandra (Ed.), New Delhi, 1970.

- Alexandra Lavizzari-Raeuber, Thangkas. Rollbilder aus dem Himalaya. Kunst und mystische

Bedeutung, Köln 1984.

- Marylin M. Rhie, Robert A. E Thurman, Weisheit und Liebe, 1000 Jahre Kunst des Tibetischen

Buddhismus, Katalog anlässlich der gleichnamigen Ausstellung, Bonn 1996.

- Hans Wolfgang Schumann, Buddhistische Bilderwelt, München, 1997.

- Manfred Seegers, Tanja Böhnke, Raum und Freude, Buddhistische Statuen und Ritualgegenstände, Diamantwegstiftung (Hrsg.), Wuppertal, 2003.

- Taranata’s History of Buddhism in India, translated from Tibetan by Lama Chimpa, Alaka Chattopadhyaya, Delhi 1990 (1970).

- Guiseppe Tucci, Tibetan Painted Scrolls, Kyoto 1980 (Rom 1948).

Von Eva Preschern


Eva Preschern, hat in Graz Kunstgeschichte studiert und die Magisterarbeit dem Thema Stupas gewidmet,

lebt und arbeitet nun in Hamburg.

kontakt: eva.preschern@gmx.net


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