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   Welche Gründe haben Menschen aus dem Westen, tibetisch-buddhistische Thangkas zu malen?

Einige westliche Künstler, die sich mit Buddhamalerei beschäftigen, sind mir zum Teil persönlich bekannt. Es sind Amerikaner, Engländer, Franzosen, Holländer, Russen und Deutsche. Sie alle haben bei tibetischen Meistern gelernt und teilen ihr Wissen und Können nun mit ihren Schülern und Schülerinnen. Sicher gibt es noch viel mehr von ihnen, denn überall dort, wo Buddhas Lehre Verbreitung findet, ist das Interesse an der Dharmamalerei vorhanden. In den letzten zehn Jahren habe ich etwa achzig meist jungen Leuten Unterricht in den Grundkenntnissen der Buddhadarstellungen gegeben.

Viele kamen mit der Vorstellung, man könnte einen Buddha aus dem Bauch heraus mit leichter Hand und unbekümmertem Gemüt auf die Leinwand setzen oder Buddhas Bildnis wie in einer Maltherapie als Blitzableiter benutzen. Andere hatten durch ihre buddhistische Praxis schon erfahren, dass die Dharmamalerei eher mit Disziplin zu tun hat, dass eigene Ideen und künstlerische Freiheit nicht an erster Stelle stehen, sondern die Auseinandersetzung mit ikonographischen und ikonometrischen Regeln. Natürlich ist auch künstlerische Begabung gefragt. Aber ein europäischer Malstil kann sich nur entwickeln, wenn sich eigene Ideen den Grundanforderungen dieser Malerei unterordnen.

Und das soll den freiheitsliebenden Individuen im Westen gefallen? Es ist schon bemerkenswert, wie sich meine Schüler und Schülerinnen mit Faszination, Freude und Durchhaltevermögen um ein gutes und lebendiges Buddhabild bemühen. Es muss wohl Gründe dafür geben!

Ich habe zuerst bei mir selber angefragt, wie ich dazu kam, eine Kunstrichtung einzuschlagen, die einer mir noch völlig fremden Religion angehörte und die so wenig mit meinem Studium an der Kunstakademie zu tun hatte. Ich hatte mich bereits entschlossen, den tibetischen Buddhismus zu studieren und zu praktizieren, weil ich einige positive Erfahrungen mit Meditation erlebt hatte. Die Buddhabilder hatten mich noch gar nicht berührt. Dann war es zunächst reine Neugier auf etwas Neues, auf eine andere Kunst, die mich dazu brachte, Thangkas kritisch zu betrachten. Mein anfängliches Vorurteil, hier würde nur ein Maler den anderen kopieren, hatte sich beim genauen Hinschauen aber nicht bestätigt. Was war denn an der Sache dran?

Dann fiel mir die Ankündigung eines Thangkamalkurses in die Hände. Ein tibetischer Meister der Karma Gardri Schule, Gega Lama kam nach Belgien. Ich packte meine Malutensilien zusammen und fuhr hin. Als nächsten Schritt konnte ich alle meine Vorstellungen samt Malmaterial in die Ecke stellen. Denn jetzt hieß es: Zeichnen, zeichnen bis der Bleistift abgenutzt war. „Wir Tibeter“, sagte der Meister, „mussten viele Jahre lang zeichnen, bis wir die Maßverhältnisse aller Buddhaformen beherrschten. Die Buddhas haben Idealmaße und die muss der Maler verinnerlichen. Ein falsch und schlecht gemaltes Buddhabild kann üble Folgen sowohl für den Maler als auch für den Meditierer haben, weil sich die Mängel auf das Unterbewusstsein übertragen. Ihr habt eine gute Voraussetzung, schnell zu lernen, weil ihr hier so lange zur Schule gegangen seid“.

Wir waren drei und manchmal auch mehr Studenten und zeichneten jeden Tag bis tief in die Nacht. In den mangelhaft gezeichneten Darstellungen entdeckten wir unsere eigenen körperlichen und geistigen Fehler und Schwächen, was uns antrieb, sie genauer anzuschauen und unsere Fertigkeiten zu verbessern. Erstaunlicherweise gab uns diese Tätigkeit eine Menge Freude und Energie, und mit der Zeit wurde uns immer klarer, dass die Dharmakunst niemals Selbstzweck ist, sondern immer Buddhas Lehren dient. Diese Lehren haben keinen anderen Sinn, als dem Menschen einen Weg zu seiner eigenen Vollkommenheit zu zeigen.

Aber nicht alle, die Buddhas malen wollten, waren von diesen Anforderungen begeistert. Einige stellten fest, dass das doch nichts für sie sei und verschwanden von der Bildfläche. Wenige blieben, die das Studium beim Meister weiterführten und am Ende die Lehrerlaubnis bekamen, darunter meine holländische Freundin und ich.

Auch in meinen Kursen habe ich die Erfahrung gemacht, dass nur wenige dabei bleiben. Aber jeder Anfänger zieht selbst aus einem Kurzstudium einen dreifachen Nutzen: Er wird kein Thangka, in dem die Regeln missachtet werden, auf dem Kunstmarkt kaufen. Seine Visualisierung in der Meditation auf eine Buddhaform wird klarer, und die zeichnerische Beschäftigung mit dem Buddhabild verhilft ihm zu einem freudigen und ausgeglichenen Geisteszustand.

Meine Schüler habe ich auch gefragt, was sie dazu bewegte, die Thangkamalerei zu erlernen.

B. sagte: „Ich suchte Hilfe beim Buddha für meinen Alltag, wollte Klarheit über mich selber haben.“

Mein Einwand: „Aber das kannst du doch erreichen, ohne Buddhas zu malen, beispielsweise durch Meditation.“

B.: „Ja sicher! Aber beim Malen von Thangkas lerne ich viele Buddhaaspekte kennen, beschäftige mich intensiv mit ihren wesentlichen Merkmalen. Das fordert mich dazu heraus, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Und außerdem macht das Ganze auch viel Spaß!“

Genau diese Spiegelung unserer eigenen Fähigkeiten einerseits und die Erkenntnis unserer Unzulänglichkeiten andererseits ist ja der tiefere Sinn von Buddhadarstellungen. Es steckt eine Menge Psychologie darin. Denn jede Buddhafigur, ob männlich oder weiblich, hat ihre besonderen Eigenschaften, die sich in Symbolen ausdrücken. Körperhaltung, Anzahl der Arme und Beine, Körperfarbe, Kleidung, Schmuck und Attribute, alle diese Dinge zeigen ein Ideal, das man durch die Meditationspraxis anstrebt.

E. erklärte: „Mich faszinierte die Klarheit der Formen und die wunderbare Farbigkeit, die die tibetischbuddhistischen Thangkas ausstrahlen, denn ich male schon lange selber sehr gerne. Aber ich wollte auch hinter den Sinn dieser Darstellungen kommen und dachte mir, dass ich das am besten könnte, wenn ich selber lernte, Buddhas zu malen. Schon als ich anfing zu zeichnen, entdeckte ich die wohltuende und beruhigende Wirkung dieser Tätigkeit. Ich bin nämlich sonst ziemlich nervös. Da ich mit den Buddhalehren schon vorher in Kontakt war, aber keine formale Praxis mache, ist die Thangkamalerei meine Meditation.“

In der Tat gibt es in der Dharmamalerei Phasen, die reine Meditation sind. Zum Beispiel malt man mit unzähligen gleichmäßigen Pinselschlägen den Himmel auf einem Thangka, und ähnlich wie bei der Mantrarezitation wird der Geist damit zur Ruhe gebracht. Dagegen erfordert die Linienphase eine unabgelenkte Konzentration, wie sie auch für eine Meditation wünschenswert ist. E. hat ihr „Probethangka“ begonnen, mit dem sie die technischen und malerischen Anforderungen für ein Buddhabild übt.

G. ist von Hause aus katholisch. Sie begann ein Kunststudium für religiöse Kunst, bzw. Paramente. Später wechselte sie zur Textilgrafik. Durch eine Chinareise wurde ihr Interesse am Buddhismus geweckt. Eine Freundin gab ihr eine Zeitschrift, in der ein Artikel meinen Werdegang in der Kunst beschrieb und Thangkas gezeigt wurden.

„Ich entdeckte eine Verwandtschaft zwischen den religiösen Bildgeschichten, die mir vertraut waren und der tibetischen Thangkamalerei.“, erklärte sie ihren Entschluss, auch diese Kunstrichtung zu erlernen. „Es war der erzählende Aspekt in diesen Bildern, der mich faszinierte. Aber was ist das, was sie erzählen? Das wollte ich wissen!“ G. hat nach gründlicher Zeichentätigkeit und dem „Probethangka“ ein Buddhabild in Arbeit.

L. ist mein einziger männlicher Schüler. Sein Beitrag zu diesem Thema: „Ich bekomme als professioneller Maler Aufträge. Ein Autor, dessen Buch ich illustrierte, fragte mich, ob ich auch Buddhas malen könne. Das inspirierte mich zunächst, mich einmal näher mit dem Buddhismus zu befassen. In der buddhistischen Gruppe, der ich mich anschloss, wurde ich wieder gefragt, ob ich nicht Buddhas malen wolle. Ich hatte keine große Lust dazu, wirkten doch die meisten Thangkas in ihrer Farbigkeit kitschig auf mich.“ Von einem Mitglied der Gruppe bekam L. Dann meine Adresse und wollte einfach mal unverbindlich reinschauen. Es blieb nicht dabei. Er zeichnet jetzt intensiv und wird bald sein erstes Thangka malen.

An einem Thangka der Grünen Tara (Befreierin) möchte ich aufzeigen, mit welchen Idealen sich der Meditierende verbinden möchte, wenn er diese Praxis gewählt hat. Alle weiblichen Buddhas werden auch „Mutter aller Buddhas“ genannt, was bedeutet, dass sie ursprüngliche Weisheit sind. Ebenso auch Tara, die aus ihrer Weisheit und ihrem Mitgefühl heraus den Wesen in allen Lebenslagen helfen kann, wenn man sich nur für sie öffnet.

Die grüne Körperfarbe zeigt diese Aktivität und sie eilt schnell zu Hilfe, ihr rechter Fuß ist zum Absprung bereit, die rechte Hand großzügig geöffnet. In der linken Hand hält sie einen blauen Utpalalotus, der ihre Reinheit zeigt. Die Schmuckstücke bedeuten, dass sie die sechs Paramitas vollständig realisiert hat: Freigebigkeit, achtsames Verhalten, Geduld, begeisterte Aktivität, Meditation, Weisheit. Ihre Kleidungsstücke symbolisieren die fünf Buddhafamilien, eine differenzierte Aufteilung in fünf Weisheiten: die alles durchdringende, die spiegelgleiche, die gleichmachende, die unterscheidende und die alles vollendende Weisheit. Sie sitzt auf einer weißen Mondscheibe, die auf einem Lotus liegt. Das heißt, dass die Reinheit der Mittel, die sie anwendet, durch ihre Weisheit gewährleistet ist.

In Felshöhlen und in der Landschaft liegen Juwelen und Gaben, die der Meditierende ihr darbringt. Es sind acht Symbole geistiger Fähigkeiten, die auf diese Weise den Wunsch nach Verwirklichung ausdrücken: Der Spiegel als Zeichen für den voll entwickelten Buddhageist – der Joghurt als Symbol für das Ergebnis eines Umwandlungsprozesses – Durvagras für langes Leben – Ochsengalle für Stärkung und Beruhigung – Zinnober für wahre Macht und Autorität – Senfkörner für Hindernisauflösung – Bilvafrüchte für die Vermehrung von Verdiensten – und das Muschelhorn für die Verbreitung des Dharma.

In Tibet hörten die Thangkamaler meistens mit 60 Jahren auf zu arbeiten. Auch mein Lehrer spürte im Alter ein deutliches Nachlassen seiner Kräfte. Je nach Augengesundheit und Handsicherheit können wir hier im Westen wohl länger malen. Aber wenn die Zeit gekommen ist, dass der Körper das sehr feine und konzentrierte Malen als zu anstrengend empfindet, sollte man lieber diese Phase seines Lebens abschließen.

Ich bin bald an diesem Punkt angelangt, aber ich freue mich an den jüngeren Schülern und Schülerinen, die mit Eifer, Konzentration und Freude Fortschritte in dieser Kunstform machen.

Von Bruni Feist-Kramer


Der Artikel erschien in der  NEPAL INFORMATION - Zeitschrift der 

Deutsch-Nepalischen Gesellschaft e.V.

Nr.98, I / 2007


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