Thangkas


  Thangkas


Die Bedeutung Buddhistischer Thangkas

Im Tibetischen Buddhismus sind Rollbilder (tib. Thangka; d.h. “das was zu rollen ist”) Träger einer tiefen Symbolik, die über den rein künstlerischen Aspekt weit hinausgeht. Vor dem Hintergrund der buddhistischen Lehre ermöglicht es diese Symbolik, die Natur des eigenen Geistes zu erkennen.


Der Zweck buddhistischer Rollbilder

Buddhistische Rollbilder und Statuen dienen bei der Praxis des Diamantwegs als Objekte der Meditation. Dabei handelt es sich um Objekte, die durch einen besonderen Einsegnungsritus (tib. Rab gnas) geweiht sind und somit die Segens- und Wirkkraft des erleuchteten Geistes in sich tragen. Sie drücken in sich alle drei Aspekte von Buddhas Körper, Rede und Geist aus und weisen den Praktizierenden durch ihre möglichst vollendete Schönheit auf die in ihm selbst liegenden Qualitäten hin.


Regeln der Thangkamalerei

Für das Malen von Buddha-Aspekten, ihrem Aussehen mit allen Attributen und ihrer Farbgestaltung gibt es äußerst genaue Anweisungen. Diese stammen von Buddha selbst und sind in den indischen Quellen, wie z.B. dem Manjushri-Mulakalpa, festgelegt. Dort finden sich Beschreibungen zum Aussehen und der Bedeutung der Buddha-Aspekte (Ikonografie) und zu den genauen Maßen und Proportionen (Ikonometrie). Das Grundmaß ist eine Fingerbreite (tib. Sor mo), die in etwa der Breite des obersten Zeigefingergliedes entspricht. Je nach Art der Buddhadarstellung kann die Figur zwischen 108 und 125 Fingerbreiten messen, was als Ausdruck der Harmonie zwischen Mikro- und Makrokosmos zu verstehen ist.

Einen Buddha zeichnen 32 Haupt- und 80 Nebenmerkmale der Vollkommenheit aus, die als Folge der zahllosen positiven Handlungen zum Wohl der Wesen entstanden sind. Eines dieser Zeichen ist seine goldene Hautfarbe. Sie sind immer dieselben, unabhängig davon, in welchem Land ein Buddha dem der jeweiligen Kultur entsprechenden Schönheitsideal nach dargestellt wird.


Geschichte der verschiedenen Stile

Die Geschichte der buddhistischen Malerei in Indien

Die Verbreitung der buddhistischen Statuen-, Rollbilder- und Tempelherstellungen, setzte etwa ca. 100 Jahre nach Buddhas Tod ein. In der Anfangszeit der buddhistischen Kunst, ca. vier bis fünf Jahrhunderte nach Buddhas Zeit, wurde Buddha ausschließlich in Form von Symbolen dargestellt. Die Abdrücke zweier Füße oder eines Lotus standen für seine Geburt, ein Feigenbaum (Bodhibaum) stand für die Erleuchtung, ein Thron oder rad mit acht Speichen für die Lehren Buddhas und ein Grabhügel oder Stupa- ein Monument für Frieden und Glück in der Welt und ein Ausdruck des erleuchteten Geistes- für das Eingehen Buddhas ins Parinirvana. Erst zu Beginn unserer Zeitrechnung setzte sich die menschliche Gestaltgebung Buddhas durch.

In den tibetischen Texten gibt es mehrere Legenden, die davon berichten, das Buddha bereits zu seinen Lebzeiten in Form von Malereien und Statuen dargestellt wurde.

Eine der Geschichten handelt von zwei Königen, die zur Zeit des Buddha in Nordostindien regierten und beide Schüler des Buddha waren. Als Zeichen der gegenseitigen Anerkennung ließen sie sich immer wieder Geschenke zukommen. Einmal hatte der eine König die Idee, dem anderen ein Porträt ihres Lehrers zu schenken. Sogleich beauftragte er einen Künstler damit den Buddha zu malen. Als der Künstler jedoch mit dem Zeichnen beginnen wollte, war er so überwältigt von der Strahlkraft Buddhas, dass es ihm unmöglich war, ihn zu malen. Daraufhin machte ihm Buddha den Vorschlag, dass sie sich an das Ufer eines Sees setzten, damit der Künstler sein Spiegelbild malen konnte. Es heißt, dass der andere König eine spontane Einsicht in die Natur des Geists gehabt haben soll, als er das Bild zum ersten Mal sah. Im 1./2. Jh. n. Chr. entstanden in der Gandhara-Region (dem heutigen Pakistan) im Nordwesten Indiens die bedeutendsten Kunstzentren dieser Zeit. Die damalige buddhistische Kunst war vor allem durch griechisch-römische Stileinflüsse geprägt, da die Griechen kurzzeitig in Indien geherrscht hatten. Ein weiteres kulturelles Zentrum in Zentralindien war Mathura, aus dessen Kunst sich vom 4. bis zum 6. Jh. n. Chr. der Gupta- und später der Pala-Stil (8.-12. Jh.) entwickelte. Die beiden Kunsttraditionen stellten den Höhepunkt buddhistischer Kunst in Indien dar. Die Kunstwerke jener Zeit waren von einer unvergleichlichen Anmut und Schönheit, die später nie wieder erreicht wurden.


Die Entwicklung der tibetischen Kunst

Die tibetische Kunst bzw. Malerei orientiert sich hautsächlich an Nepal und China. Durch die Inspiration der beiden Frauen des tibetischen Königs Songtsen Gampo – der chinesischen Prinzessin Kongjo (chin. Wen Ju) und der nepalesischen Bhrikuti begann sich Anfang des 7. Jh. die Kunst der Malerei und Statuenherstellung in weiten Teilen Zentral- und Osttibets auszubreiten. Später entstand unter Padmasambhava, der den Diamantweg-Buddhismus in Tibet gründete, gegen Ende des 8. Jh. das erste buddhistische Kloster Samye, das von nepalesischen Handwerkern und Künstlern gebaut und ausgeschmückt wurde.


Stile der tibetischen Malerei

Einige der ältesten tibetischen Malereien wurden in den Höhlentempeln von Dunhuang in der chinesischen Provinz Gansu entdeckt. Dunhuang, das die beiden Seidenstrassen im Osten verband, war vom ca. 7. bis zum 9. Jh. ein wichtiges wirtschaftliches, kulturelles und geistiges Zentrum in Zentralasien, zu dem auch die Tibeter rege Beziehungen unterhielten. Man fand dort Malereien aus Stoff, die aus dem 9. Jh. stammen und tibetische Inschriften aufweisen. Die meisten Kunstwerke aus dieser Zeit fielen in Tibet der Zerstörung durch den tibetischen König Langdarma, einem großen Gegner des Buddhismus zum Opfer. Die ältesten Wandmalerein in Tibet gehen daher auf das 11./12. Jh. zurück. Sie wurden in Westtibet – u.a. in Guge und Ladakh – entdeckt und wurden von der indo-nepalesischen und kashmirischen Kunst beeinflusst.

Vom 12. bis zum 14. Jh. begann sich zunehmend ein eigenständiger Stil in der tibetischen Malerei herauszuformen. Im 15. Jh. erfand der Künstler Menla Döndrup (auch Menthangpa genannt), den sogenannten Menri-Stil, der sich sowohl an der indo-nepalesischen als auch an der chinesischen Maltradition orientierte. Aus dem Alten Menri-Stil (15./16. Jh.) entwickelte sich ab dem ca. 17. Jh. der Neue Menri-Stil (17. bis 21. Jh.). Dieser zählt noch heute zu den wichtigsten Maltraditionen der tibetischen Kunst.

Ein Thangka im Menri-Stil ist an den kräftigen Farben, den feinen Details und den klaren Formen zu erkennen. Es gibt zumeist sehr viele Figuren im Bild, das Dekor – Blumen, Juwelen und Schmuck – ist üppig und die Buddha-Figuren haben oft rot gefärbte Hand- und Fußflächen, ein Schönheitszeichen in Indien.

Die zweite große tibetischen Maltradition ist der Karma-Gardri-Stil, der Malstil des „Karmapa Zeltlagers“. Die Karmapas sind die obersten Linienhalter der Karma Kagyü-Schule des Tibetischen Buddhismus. Bereits der 7. Karmapa Tschödrag Gyamtso (1454-1506) pflegte in einem Zeltlager, begleitet von mehreren hundert Schülern, durch Tibet zu reisen. Er versammelte Künstler aus dem gesamten asiatischen Raum um sich und schuf so die Grundlage für eine neue Kunsttradition, den Karma Gardri-Stil. Der 8. Karmapa Mikyö Dorje (1507-1554), der selbst ein großer Künstler war, definierte dann diesen Stil und legte ihn in seinen Schriften fest. Gegen Ende des 16. Jh. entwickelte schließlich der Künstler Namka Tashi, ein Zeitgenosse des 9. Karmapa Wangchuk Dorje (1556-1603), den Karma Gardri-Stil. Der neue Stil sollte Elemente der indischen, chinesischen und tibetischen Maltraditionen vereinen. Aus dem Alten Karma Gardri-Stil (16./17. Jh.) entwickelte sich ab dem 18. Jh. der Neue Karma Gardri-Stil und gegen Ende des 18. Jh. der Karshod-Stil, der nach der gleichnamigen osttibetischen Region in der Provinz Kham benannt ist. Merkmale der Karma Gardri-Malerei sind eine offene, blau-grüne Landschaftskomposition im Stil der Ming-Zeit, leuchtend-brillante Farben, ein zarter Farbauftrag voller Transparenz und lebendige Figuren.

Seit der systematischen Zerstörung Tibets durch das kommunistische China Mitte des 20. Jh. gelangt der tibetische Buddhismus und seine Kunst zunehmend in den Westen – nach Europa, Amerika und Russland – wo er neue Formen annimmt. Heute leben nur noch wenige der großen tibetischen Thangkamalmeister, die bemüht sind, das spirituelle und kulturelle Erbe Tibets an den Westen weiterzugeben.


Herstellungstechnik


Das Kunsthandwerk der Thangka-Herstellung

Die Kunst der Herstellung von Rollbildern war sehr angesehen und weit verbreitet, da sie die Grundlage für die Meditationspraxis bildet. In den alten Texten heißt es, dass derjenige, der mit einer reinen Motivation zum Besten aller Wesen die Darstellung eines Buddhas anfertigt, ein langes Leben, Reichtum, Gesundheit und eine starke Ausstrahlung erhalten wird. Neben den richtigen Proportionen der Figuren, einer harmonischen Farbgebung und einer ausgewogenen Komposition ist es vor allem die Lebendigkeit der Figuren, die die Qualität eines Thangkas ausmachen.


Der Herstellungsprozess von Thangkas

Als Malgrund für Thangkas wird in der Regel Baumwoll- oder Leinenstoff verwendet. Dieser wird beidseitig mit einer Grundierung aus Kreide, Leim und Wasser bestrichen und nach dem Trocknen mit einem Glasstein glattgerieben. Dadurch entsteht eine hervorragende Malgrundlage für leuchtende Farben und fließende Linien. Danach werden mit Hilfe einer Schablone die Umrisse der Zeichnungen auf die Leinwand übertragen. Nach einer traditionellen Methode werden die Umrisse der Zeichnung mit Nadeln durchstochen und mit Rötel oder Kohlenstaub auf die Leinwand übertragen. Die Farben werden entweder in Form von Strichen oder Punkten  aufgetragen, wobei die gestrichelte Malweise für glatte Flächen, wie Proportionen und Gesichter und die punktierte für Farbübergänge und Schattierungen verwendet wird. Um den Figuren  Lebendigkeit zu verleihen, werden sie mit Umrisslinien eingefasst. Als Farben wurden in Tibet Pigmente von Pflanzen und Edelsteinen verwendet, die mit Bindemitteln und Reliquien vermischt wurden. Aufgrund des aufwendigen Herstellungsprozesses und der anderen Umweltbedingungen im Westen werden heute vor allem synthetische Gouache- und Acrylfarben von höchster Qualität verwendet.

Das Malen (sog. Öffnen) der Augen der dargestellten Buddha-Aspekte geschieht am Schluss. Damit ein Thangka seine Wirkung und Kraft ganz entfalten kann, sollte es von einem Lama gesegnet werden. Dieser trägt auf der Rückseite die drei Silben OM, AH und HUNG in der Höhe von Stirn, Hals und Herz eines Buddha (den Zentren für Körper, Rede und Geist) ein.

Zu einem vollständigen Rollbild gehört auch ein  Rahmen, der traditionell aus drei, verschieden breiten Brokatstoffen in den Farben blau, gelb und rot besteht. Diese werden auch als Regenbogen bezeichnet, da sie als eine Fortsetzung des regenbogenfarbenen, transparenten Kraftfeldes (skt. Mandala) gesehen werden, das einen Buddha-Aspekt umgibt. Durch die „Tür“ zum Thangka, ein rechteckiges Stofffeld am unteren Ende des Thangkas, betritt man dieses Kraftfeld.


Aus: "Buddhas in Karlsruhe" 2007, Textquellen: "Raum und Freude / Space and Bliss", Wuppertal 2003,

Textliche Bearbeitung: Elisabeth Haderer


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